Blog König Ludwig Bayern

   

Zum 175. Geburtstag von König Ludwig II ein Gastbeitrag von Webmaster Jan von https://gay-szene.net/

Vom Wahren, Schönen, Guten

175 Jahre ist es her, das Otto Friedrich Wilhelm von Wittelsbach zur Welt
kam. Anlass für fast alle deutschen Medien, sich des Märchenkönigs und
seines grandiosen Nachlasses zu erinnern, ihn zu huldigen und die vielen
Vorurteile zu kolportieren, von seiner Verschwendungssucht bis zu seinem
Wahnsinn, vom angeblich falsch datierten Geburtstag bis zum mysteriösen
Ende, das Wesentliche aber möglichst zu verschweigen.

Dabei ist die Faktenlage klar und eindeutig. Seine Regentschaft ist bis
wenige Stunden vor seinem Tod genauestens rekonstruierbar. Wir wissen
zwar noch immer nicht genau, was die Welt im Innersten zusammenhält,
dank seiner umfangreichen Tagebücher aber sehr wohl, was Ludwig II. im
Innersten auseinanderriss.

Denn Ludwig war schwul, konnte, wollte und durfte es aber nicht sein.
Lange hat er gegen seine Gefühle angekämpft, ein Kampf, dem Deutsch-
land viel verdankt, der ihn marterte, bis er sich fast vollständig aus der
Öffentlichkeit auf seine Schlösser zurückzog. Dort umgab er sich mit bild-
schönen Schauspielern und Lakaien. Besonders gerne hatte er die Stall-
knechte. Sie rochen wohl eben so streng wie er. Viele seiner Liebhaber
sind bis heute namentlich bekannt. Jung und außerordentlich schön waren
sie alle, der König eingeschlossen.

Wenige Menschen haben die Gemüter der Deutschen, insbesondere der
Bayern, mehr bewegt als er. Als er mit 18 Jahren König Ludwig II. von
Bayern wurde, regierte dieser Monarch in einer Art und Weise, wie es die
Welt bis dahin nicht gekannt hatte. Gleich bei der ersten Kabinettssitzung
machte der Theaternarr und opernverliebte Teenager klar, dass er sich für
Krieg nicht die Bohne interessiere, aber das Herbeischaffen des unauffind-
baren Genies Richard Wagner höchste staatliche Priorität habe.

Wagner war auf der Flucht vor seinen Gläubigern. Auch wurde er wegen
seiner Beteiligung am Dresdener Maiaufstand 1849 steckbrieflich gesucht.
Seine Opern Tannhäuser und Lohengrin waren gerade enorm erfolgreich
gewesen, aber seine Schulden wuchsen viel schneller als sein Ruhm.
Lange blieb die Suche des Königs erfolglos, denn je mehr Polizisten
Wagner suchten, desto besser versteckte der sich. Erst als ihm der junge
König einen persönlichen Brief sowie ein wahrlich fürstliches Geschenk
übersandte, erkannte er seinen Irrtum. Diesmal wurde er nicht wegen
Anarchismus oder seiner Schulden verfolgt, da suchte ihn jemand wegen
seines Genies, seiner Musik und seiner Poesie.

Fortan war er aller Geldsorgen entledigt. Er konnte nicht nur in
luxuriösem Ambiente seine Opern vollenden und mit den besten und
teuersten Sängern, Musikern und Dirigenten seiner Zeit aufführen,
sondern in Bayreuth sein eigenes Festspielhaus nach seinen fraglos
visionären Vorstellungen bauen, gigantisch groß und extrem teuer. Das
Gesamtkunstwerk aus Poesie, Musik, Dekoration, Licht und Drama hat
seinen großartigsten Tempel auf dem Grünen Hügel in Bayreuth gefunden.
Selbst im 2. Weltkrieg wurde dieser Gral der Kunst von den Bomben der
Alliierten verschont und wurde ausdrücklich von ihnen nicht zerstört.

Ludwig zahlte alles, selbst als er offiziell die ewige Freundschaft bis zum
Tod beenden musste und die Knicker, Knauser und Neider Wagner erneut
aus München vertrieben. Ludwig besuchte ihn heimlich und finanzierte
ihn weiter, immer aus seiner Privatschatulle. Dass er Unsummen für
Kunst, Kultur und Schlossbau verprasste, wissen viele. Dass er all das aus
seinem Privatbesitz bezahlte, wissen wenige. Seine Apanage war enorm.
Aber für so viel Extravaganz reichte sie natürlich nie. Der exzentrische
Junggeselle lebte auf Kredit, den ihm die Politiker immer wieder großzü-
gig gewährten. Denn solange der König mit Musik und Schlossbau
beschäftigt war, konnten die regieren, wie sie wollen.

Und das taten sie dann auch mit mäßigem Erfolg. Gegen Ludwigs aus-
drücklichen Willen zog Bayern an der Seite Österreichs gegen Preußen in
den Krieg. Das Deutsche Reich konnten sie mit dieser Allianz nicht
verhindern, denn der Krieg ging verloren. Ludwig hatte sie gewarnt und
wollte unbedingt neutral bleiben.

Krieg ist teuer, sehr teuer. Alleine die vergleichsweise sehr mäßigen und
bescheidenen Reparationszahlungen, die Bayern an Preußen leisten
musste, überstiegen die Baukosten aller Theater, Burgen und Schlösser,
die Ludwig je errichtet hat, bei Weitem. Als Ludwig starb, wurde sein
Schuldenberg vom Haus Wittelsbach anstandslos zurückgezahlt. Heute
nimmt der Freistaat Bayern ein Vielfaches der Investitionskosten alleine
als Eintrittsgeldern für die Schlösser ein, ganz abgesehen von der gewalti-
gen Förderung des Tourismus in Bayern.

Wieso hat Ludwig die überwiegend unbenutzten und leer stehenden
Schlösser gebaut? Irgendwo musste die unterdrückte und verdrängte
sexuelle Energie hin. Heute sind sich die Psychologen einig, unbefriedigte
Sexualität führt leicht in die Sucht. Die einen saufen, andere poppen,
poppern, prassen, wieder andere spielen, überarbeiten sich oder bauen
Prunkschlösser wie am Fließband, jeder, wie er veranlagt ist und wie er es
sich leisten kann.

Inzwischen gilt als gesichert, dass Ludwig keineswegs wahnsinnig war
wie sein jüngerer Bruder Otto. Bis ganz zum Schluss zeugten alle seine
Handlungen von gesundem Verstand und großartigem Verständnis für die
wesentlichen Dinge im Leben. Sein Problem war nicht nur, dass Homo-
sexualität gesellschaftlich völlig tabu war, sondern dass die Welt nicht
teilte, was ihm wichtig und heilig war.

Er hat der Welt den Wagner aufgezwungen, Kunst um der Kunst willen,
Schönheit um der Schönheit willen. Wo bleiben die Ökonomen, die
Kunstliebhaber, die Visionäre? Schlossbau schafft Arbeitsplätze, viele
Arbeitsplätze. Er braucht modernste Baustoffe und Bautechniken, fördert
Kunst, Handwerk und Gewerbe. Auf den ersten Blick ist es absurd, auf
Schloss Linderhof wie im Tannhäuser eine Venusgrotte zu erbauen und sie
mit Schwänen aus Lohengrin zu bevölkern. Aber beleuchtet wurde die
Grotte elektrisch. Dazu wurde eigens ein eigenes Kraftwerk gebaut. Es
war das erste elektrische Kraftwerk der Welt. Schön zu wissen, dass damit
ausgerechnet ein Boudoir für viele schwule Orgien ins rechte Licht gesetzt
wurden.

Auch Aufzüge, Zentralheizungen und Wasserspülungen fürs Klo wurden
eingebaut. Jetzt wundert sich hoffentlich niemand mehr, dass es auch
schon Telefon im Schloss gab. Ein besessener Förderer der Moderne, von
Wissenschaft und Technik, des Wahren, Schönen, Guten, Kunstmäzen und
Kriegshasser, Erneuerer, genialer Investor und unvergessener, berauschend
schöner, viel verehrter Märchenkönig!

Nur für seine sexuelle Freiheit konnte und wollte er nicht kämpfen. Zwar
war er seiner Zeit in vielem weit voraus, nicht aber weit genug, um
homosexuelle Gleichberechtigung durchzusetzen. Als er König wurde,
war Homosexualität in Bayern erlaubt. Erst der Zusammenschluss zum
Deutschen Reich brachte 1871 den unsäglichen § 175 auch nach Bayern.
Als König stand er natürlich über dem Gesetz und brauchte sich um die
strafrechtliche Verfolgung seiner sexuellen Eskapaden nicht zu sorgen.

Letztendlich hat er den Kampf gegen das Establishment verloren. Bis
zuletzt war er keinesfalls unzurechnungsfähig. Politisch motivierte Ärzten
haben bei ihm ohne objektive Fakten Paranoia diagnostiziert, gegen die
zweifelnde, objektive Diagnose seines Hausarztes, der ihn lebenslang
kannte und behandelt hatte. Seine Entmündigung hat er nur vier Tage
ertragen. Dann setzte er seinem außerordentlichen Leben ein jähes Ende.
Sein Hausarzt starb mit ihm. Wie genau wissen wir nicht. So wurde
Schloss Herrenchiemsee niemals fertig gebaut, mondäne Pläne für eine
chinesische Pagode und einen byzantinischen Palast landeten im Museum.

Jan



 

 

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