Ait Ben Haddou ( werden wir auf unserer Tour besichtigen)
Marokko und die Schwulen...eine erstaunliche Geschichte:
Bis zu seiner Unabhängigkeit im Jahre 1956 war Marokko unter den europäischen Kolonialmächten aufgeteilt. Die Hafenstadt Tanger war aufgrund ihrer strategischen Bedeutung zu einem internationalen Freihafen erklärt worden. In den 1950er Jahren erlangte sie schnell einen freizügigen Ruf als "Anything Goes Place". Zu dieser Zeit war in dem meisten Ländern Europas und in den USA Homosexualität noch strafrechtlich verfolgt und gesellschaftlich rigide unterdrückt, das gesellschaftliche Klima prüde und konservativ. Es sprach sich damals unter den Schwulen in der westlichen Welt herum, daß in Tanger dagegen ein freies und günstiges Leben in der Sonne möglich sowie Jungs, Drogen und Exotik leicht verfügbar waren. Es entstand die aus heutiger Sicht bizarre Situation, daß in Europa/USA verfolgte Schwule in das damals liberale Marokko flüchteten.
Prominente schwule Künstler und Schriftsteller wie Truman Capote, Paul Bowles, Tennessee Williams, Henri Matisse oder auch die Autoren der in den 50ern aufkommenden Hipster- und Beatgeneration Allen Ginsberg, Jack Kerouac und William Burroughs zogen ganz oder zeitweise nach Tanger. Burroughs schrieb sein Meisterwerk Naked Lunch in Tanger. Kerouac schrieb in seinem Beatnik Roman "Engel, Kif und neue Länder" über diese Zeit. Zahlreiche Schwule und Bohemians aus Europa und USA folgten ihnen. Die örtlichen Behörden ignorierten oder duldeten das bunte Treiben und die Einheimischen standen ihm gelassen pragmatisch gegenüber, denn sie merkten schnell, daß sich mit den exentrischen Ausländern gut Geld verdienen ließ. Im Vergleich zu Tanger, schrieb ein Autor 1950, „war Sodom ein Kirchenpicknick und Gomorrha ein Pfadfinderinnentreffen“.
Nachdem Marokko seine Unabhängigkeit erlangt hatte, endete die Party jedoch allmählich und in den 1960er Jahren wurde wieder stärker auf die islamische Moral geachtet, die Bordelle und die Schwulenszene in Tanger dicht gemacht, der Verkauf von Alkohol wieder verboten und zahlreiche einschlägig bekannte Ausländer des Landes verwiesen.
Die internationale Karawane zog weiter nach Marrakesch. Marrakesch galt noch exotischer als Tanger und wurde zum Ziel der Hippies in den 60er und 70ern auf ihrer Suche nach Mystik, Drogen und einem billigem Aussteigerleben. Heute kaum mehr vorstellbar, aber Marokko galt ebenso wie Afghanistan in dieser Zeit als freies Hippieparadies. In ihrem Gefolge kamen auch auch Stars wie die Rolling Stones nach Marrakesch und viele Schwule. Das Haus von Yves Saint Laurent und seinem Lebenspartner Pierre Bergé beispielsweise gehört heute zu den Touristenattraktionen der Stadt.
Ab den 80ern/ 90ern begann in Marokko die selbe Entwicklung wie in allen anderen islamischen Ländern hin zu einer Rückkehr zum sittenstrengen religiösen Konservatismus. Diese Entwicklung hält bis heute an.
Homosexualität ist heute in Marokko strafbar. Die strafrechtliche Verfolgung geschieht nur sporadisch, was die Bundesregierung dazu veranlasst hat, Marokko als sicheres Herkunftsland zu erklären, weil es keine systematische Verfolgung Homosexueller gäbe. Das ist laut Menschenrechtsorganisation fragwürdig, denn zwar haben sich in den letzten Jahre eine Reihe prominenter marokkanischer Künstler und Schriftsteller goutet, aber einfache Schwule müssen nach einem Outing weiterhin mit strafrechtlicher Verfolgung und gewaltätigen Übergriffen rechnen.
Kann man als Schwuler nach Marokko reisen?
Kein Problem, solange man sich diskret verhält und sein Schwulsein in der Öffentlichkeit nicht zeigt. Der Teil der Marokkaner, der mit Tourismus zu tun hat, insbesondere die ältere Generation, kennt das seit Jahrzehnten, denn Marokko ist traditionell ein beliebtes Reiseziel für Schwule. Man weiß Bescheid, spricht aber nicht darüber und behandelt schwule Gäste genauso gastfreundlich wie alle anderen.
In der mehr gebildeten, jungen und modernen Bevölkerung der Städte findet außerdem ein allmähliches vorsichtiges Umdenken statt, ausgelöst durch das Outing beliebter Sänger und Künstler. Leider gibt es auch die extreme Gegenbewegung der radikalen Islamisten, die eine lautstarke, einflussreiche und agressive Minderheit darstellen.
Soll man als Schwuler in ein Land reisen, in dem Homosexualität kriminalisiert wird?
Das muß jeder für sich entscheiden. Man kann der berechtigten Ansicht sein, ich fahre nicht in ein Land, in dem ich kriminalisiert werde und bringe dort mein Geld hin. Absolut nachvollziehbar. Aber, auch in diesen Ländern leben viele Schwule und oft ist der Tourismus der einzige Bereich, in dem sie wenigstens einigermaßen frei arbeiten können und toleriert werden. Wenn sie nicht gerade auserwählt begabte Künstler oder Designer sind, ist es der Tourismus, in dem sie sich selbstständig machen und emanzipieren können. Ein Boykott würde ihnen die Existenzgrundlage rauben. Man kann es also auch als ein Zeichen der Solidarität für sie sehen, wenn man auch deswegen hinfährt.